Page 6 - Besser hoeren fuer alle
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|| Warum ist barrierefreies Hören wichtig? ||





          Es gibt medizinische und                      wirkung ist die häufigste Ursache für die beidsei-
          soziale Gründe                                tige Schwerhörigkeit.


          Der menschliche Hörsinn dient im Wesentli-    Weltweit leiden 245 Millionen Menschen an
          chen der Kommunikation, hat sozial-emotionale   Schwerhörigkeit, in Deutschland sind es 13,3 Mil-
          Funktionen, z.B. Musik hören, und ist bei Dun-  lionen, davon 4,7 Millionen mittelgradig, 1  Mil-
          kelheit der wichtigste Alarmierungs- und Orientie-  lion hochgradig und 220 000 bis an Taubheit
          rungssinn. Drei Viertel der alltäglichen zwischen-  grenzend.
          menschlichen Kommunikation findet verbal statt.
                                                        Eine der wesentlichen Aufgaben des Hörprozes-
                                                        ses ist es, trotz Umgebungs- und Störgeräuschen
                                                        wichtige Signale, z.B. die Sprache, zu verstehen.
                                                        Genau diese Fähigkeit geht häufig bereits bei
                                                        leichter und mittelgradiger Schwerhörigkeit verlo-
                                                        ren, was auch als „Partyschwerhörigkeit“ bekannt
                                                        ist. Der Betroffene hört, aber versteht (Sprache)
                                                        nicht.


                                                        „Partyschwerhörigkeit“ – der
                                                        Betroffene hört, aber versteht nicht
          Prof. Dr. Dr. med. Randolf Riemann, Chefarzt HNO, Elbe-
          kliniken Stade                                Auch die modernste Hörgerätetechnologie oder
                                                        die meisten operativen Hörverbesserungen, in-
          Das Ohr ist somit das wichtigste Kommunikati-  klusive implantierbarer Hörgeräte, schaffen es in
          onsorgan. Wenig oder Nicht-Hören bedeutet so-  der Regel nicht, diesen Effekt zu beheben.
          mit Kommunikationseinschränkung bis -verlust.
          Schon Immanuel Kant erkannte: „Nicht Sehen    Deswegen ziehen sich Schwerhörige ohne aber
          trennt den Menschen von Dingen, nicht Hören   auch mit Hörgeräten, vor allem in höherem Le-
          trennt den Menschen von dem Menschen!“        bensalter, zunehmend aus dem sozialen Umfeld
                                                        zurück.
          Beim menschlichen Hörprozess gelangen die
          Schallwellen durch den Gehörgang an das Trom-  Die Teilhabe an Veranstaltungen mit vielen Men-
          melfell  und bringen  es zum  Schwingen. Die   schen und Nebengeräuschen (z.B. Museen,
          Luftschwingungen werden durch die Gehörknö-     Theater, Feste, Gerichtssäle, Reisen mit Bus und
          chelchen Hammer, Amboss und Steigbügel ver-   Bahn, Trauerveranstaltungen) fordert von den
          stärkt und auf die Flüssigkeit der Gehörschnecke   Betroffenen eine erhöhte Konzentration, da nur
          (Cochlea) übertragen.                         Bruchstücke verstanden werden. Isolation bis hin
                                                        zu komplettem Rückzug mit damit verbundenen
          Die Cochlea besteht aus drei gewundenen Flüs-  psychischen Belastungen wie Depression oder
          sigkeitsschläuchen mit einer Trennwand, die das   psychosomatische Erkrankungen können die Fol-
          sogenannte Corti-Organ mit den Haarzellen ent-  ge sein.
          hält. Durch feinste Auslenkung der Härchen ent-
          stehen elektrische Signale, die über den Hörnerv   Die Dunkelziffer ist groß
          an das Gehirn weitergeleitet und dort in zahl-
          reichen Schaltstellen verarbeitet und schließlich   Mittlerweile ist nicht nur bekannt, dass Demenz
          wahrgenommen werden.                          und Schwerhörigkeit miteinander in Verbindung
                                                        stehen, sondern dass in Altersheimen nicht sel-
          Die irreparable Schädigung der Haarzellen durch   ten Menschen für dement gehalten werden, die
          Degeneration im Alter, durch Lärm- oder Giftein-  lediglich ein schlechtes Gehör haben. Die Dun-
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