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|| Warum ein Hörgerät nicht immer ausreicht ||





          an das Telefon  Probleme bereitet (insb. dann,   dass das Sprachverstehen dabei besser ist als mit
          wenn keine induktive Einkopplung möglich ist).   dem eigenen Hörgerät.
          Aber auch für Vieltelefonierer ohne Hörminde-
          rung ist das Telefonieren häufig mit großem Hör-  Sprachverständlichkeit in
          stress verbunden, wenn im Umfeld großer Lärm   Film und Fernsehen
          herrscht oder die Lautstärke und Übertragungs-
          eigenschaften von einem Anruf zum anderen so   Besonders aufwendig und kostenintensiv produ-
          sehr schwanken, dass man eigentlich andauernd   zierte  Spielfilme  kommen  häufig  wegen  Proble-
          nachregeln müsste, dies aber aufgrund der stres-  men der Sprachverständlichkeit in die Kritik. Die
          sigen Abläufe im Alltag nicht leisten kann.   Gründe hierfür sind vielfältig und reichen von Stör-
                                                        geräuschen bei der Aufnahme über unklare Aus-
                                                        sprache bis hin zu Tonmischungen, bei denen die
                                                        Dramatik und nicht der Dialog im Vordergrund ste-
                                                        hen.  Besonders  das  Abmischen  ist ein komple-
                                                        xer Prozess, bei dem die Verständlichkeit häufig
          Eine mögliche Lösung besteht darin Verfahren aus   aufgrund „künstlerischer Freiheit“ zurückstecken
          der Hörgerätetechnik direkt ins Telefon zu integ-  muss. Ein Problem besteht darin, dass Sprachver-
          rieren und so die Probleme der Einkopplung zu   ständlichkeit von Filmdialogen traditionell subjek-
          umgehen. Die große Herausforderung dabei ist,   tiv durch den Tonmeister bewertet wird, der nicht
          die Verfahren optimal an den individuellen Nutzer   nur über ein besonders geübtes Gehör verfügt,
          und die aktuelle Hörsituation anzupassen. Dies ist   sondern das Sprachmaterial auch noch mehrfach
          zwingend notwendig, da jeder Mensch – ganz un-  hört. So kann er nur schwer bewerten, ob eine be-
          abhängig vom Hörvermögen – eigene Präferenzen   stehende Mischung vom Zielpublikum – häufig in
          und Bedürfnisse und unterschiedliche Einstellun-  der Altersklasse 60+ mit entsprechend großer sta-
          gen für optimales Sprachverstehen hat. Anders als   tistischer Wahrscheinlichkeit für Schwerhörigkeit –
          bei Hörgeräten steht für diese Anpassung jedoch   verstanden werden wird oder nicht. So kommt es,
          kein Experte zur Verfügung, der die Verfahren und   dass auch gute Hörgeräte häufig an ihre Grenzen
          Einstellparameter im Detail kennt und anhand von   stoßen und z.B. den Dialog beim Fernsehen nicht
          audiologischen Messungen und Erfahrungswerten   hinreichend aus der Hintergrundmusik herausfil-
          individuelle Anpassungen vornehmen kann.      tern können. Aktuelle Forschungsarbeiten setzen
                                                        daher an der Quelle an: Durch Modelle, die das
          Dank intensiver Forschungsarbeiten ist es heute   Hörempfinden nachbilden, wird bereits im Pro-
          jedoch möglich, dass sich auch durch Nicht-Ex-  duktionsprozess anhand der Tonspuren analysiert,
          perten komplexere Algorithmen zur Hörunterstüt-  ob die aktuelle Mischung hinreichend verständlich
          zung  individuell  anpassen  lassen.  Hierfür  wählt   ist. Dabei wird u.a. die sogenannte Maskierung der
          der Nutzer eines der voreingestellten Hörprofile   Sprache, also ihre Verdeckung durch Musik, At-
          nach seiner persönlichen Präferenz aus. Eine au-  mosphäre und Soundeffekte, analysiert und im
          diometrische Messung ist nicht erforderlich. Die   Sinne der Verständlichkeit bewertet. Aspekte von
          Auswahl erfolgt zum Beispiel über die Telefontas-  Schwerhörigkeit können in die Berechnungen der
          tatur, einen Touchscreen oder über eine Internet-  Modelle einfließen und damit dem Tonmeister ei-
          seite und ist auch während eines Anrufs möglich.   nen Hinweis darauf geben, ob die Mischung auch
                                                        für Menschen mit Schwerhörigkeit verständlich ist.
          Nutzerstudien belegen, dass sowohl normalhö-  Wenn es gelingt, diese Technologien bis zur Mark-
          rende Nutzer als auch Schwerhörige mit und oh-  treife zu erforschen und zu validieren und sie in
          ne Hörgeräte deutlich von der integrierten Hö-  die bestehenden Prozesse der Fernsehtonproduk-
          runterstützung profitieren können, besonders bei   tion einzubinden, können wir in Zukunft auf gut
          schlechter Signalqualität oder bei Umgebungsge-  verständliche Dialoge hoffen.
          räuschen wie in belebten Büros oder Callcentern.
          Häufig berichten auch erfahrene Hörgeräteträger,                  Dr. Jan Rennies-Hochmuth
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